Wenn ein Kind geboren wird, dann ist das immer ein großer unvergesslicher Moment für alle, die an der Geburt beteiligt sind. Das gilt heute auch für Kaiserschnittgeburten, denn anders als früher bekommt die Mutter heute keine Vollnarkose mehr, es wird mithilfe einer periduralen Anästhesie, kurz PDA, nur der untere Teil des Körpers betäubt. Hat der Arzt das Kind aus der Gebärmutter gehoben, dann wird es der Mutter gezeigt oder gleich in den Arm gelegt. In australien und den USA geschieht nach der Entbindung durch kaiserschnitt aber noch etwas anderes, das sogenannte Seeding, was das kindliche Immunsystem stärken soll.
Was genau ist Seeding?
Seeding heißt aus dem Englischen übersetzt so viel wie verteilen oder auch säen. Bei dieser Methode wird das Kind ungefähr eine Stunde nach der Geburt von Kopf bis Fuß mit dem Scheidensekret der Mutter eingerieben. Eine Stunde vor der Kaiserschnittentbindung wird eine Mullbinde, die mit Salzwasser getränkt wurde, in die Vagina der Mutter gelegt. Unmittelbar vor dem Eingriff wird die Mullbinde, die sich mit dem Sekret vollgesogen hat, wieder entfernt und in einem luftdicht geschlossenen Behälter aufbewahrt. Ist das Kind geboren, dann werden sein Gesicht und sein Körper mit der Mullbinde abgerieben, zudem wird auch ein wenig der Sekretflüssigkeit in den Mund des Neugeborenen geträufelt. In einigen Kliniken werden die Kinder auch für kurze Zeit in die feuchte Mullbinde eingewickelt.
Die Simulation der natürlichen Geburt
Durch das Seeding sollen die Abwehrkräfte des Kindes gestärkt werden, die es bei einer vaginalen Geburt auf natürliche Art und Weise bekommt. Bei einer Kaiserschnittgeburt kommt das Kind nicht mit dem Scheidensekret der Mutter in Berührung, und da in Studien nachgewiesen wurde, dass Kaiserschnittkinder anfälliger für Infekte, aber auch für Allergien und Asthma sind, wird mit dem Seeding eine natürliche Geburt simuliert. Das mütterliche Scheidensekret enthält ca. 300 unterschiedliche Mikroorganismen, von denen die Mehrzahl für eine Stärkung des Immunsystems zuständig sind und diese Mikroorganismen werden durch das Seeding von der Mutter auf das Kind übertragen.
Seeding in Deutschland noch kein Thema
In Deutschland kommt mittlerweile jedes dritte Kind durch einen Kaiserschnitt zu Welt, Seeding ist aber in deutschen Operationssälen noch kein Thema. Viele Mediziner und auch viele Hebammen sind der neuen Methode aus Australien gegenüber skeptisch. Sie können zwar nachvollziehen, dass durch das Seeding die Immunabwehr des Kindes theoretisch gestärkt werden kann, aber es wird nach Meinung von deutschen Medizinexperten dazu mehr gebraucht, als nur die relativ kleine Menge an Sekret. Bei einer natürlichen Geburt kommt das Kind auf seinem Weg durch den Geburtskanal viel länger mit dem vaginalen Sekret der Mutter in Kontakt. Die wenigen Minuten, in denen das Kind mit der Mullbinde in Berührung kommt, reichen daher nicht aus, um einen kompakten und wirksamen Immunschutz aufzubauen.
Wenig überzeugend und kaum erforscht
Ob die neue Methode der Immunisierung tatsächlich funktioniert, darüber gibt es noch keine fundierten Berichte oder Studien. Die Universität New York hat 17 Kinder untersucht, von denen sechs natürlich und elf per Kaiserschnitt geboren wurden. Diese studie ergab, dass die Kinder, die nach der Sectio mit dem Scheidensekret der Mutter abgerieben wurden, einen positiven Effekt mit ins erste Lebensjahr nehmen konnten. Aber selbst wenn die Studie positiv ausgefallen ist, für eine Langzeitstudie war die Zahl der Studienteilenehmer zu gering und die Studiendauer zu kurz. Um objektive und vor allem fundierte Ergebnisse erzielen zu können, muss die Zahl der Studienteilnehmer mindestens bei 1200 liegen und der Untersuchungszeitraum mehrere Jahre betragen. Kritiker sehen im Seeding jedoch noch einen negativen Aspekt, denn die Zahl der geplanten Kaiserschnittentbindungen könnte noch weiter steigen, weil sowohl die Mütter als auch die Mediziner und die Hebammen durch das Einreiben mit Scheidensekret darauf setzen, den Immunschutz der Kinder zu erhöhen.
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Über den Autor Ulrike Dietz
Ulrike Dietz ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt im Hochsauerland. Die Journalistin und Buchautorin schreibt Artikel zu vielen verschiedenen Themen und bezeichnet sich selbst als flexibel, aufgeschlossen und wissbegierig.